Hintergrund

Unterkunft & Betreuung

Geflüchtete Frauen fühlen sich in den heutigen Kollektivunterkünften von Bund und Kantonen nicht sicher und sind dort den Männern nicht gleichgestellt. Dies hängt in erster Linie mit den Infrastrukturen der Unterkünfte und den bestehenden Betreuungsverhältnissen zusammen.

Die geflüchteten Frauen haben viele Gründe, weshalb sie sie sich in ihrem Zuhause, der Kollektivunterkunft, permanent unsicher fühlen: Grundsätzlich sind die Männer sehr dominant in ihrer Präsenz und ihrem Verhalten. In aller Regel sind die Sanitäranlagen für die Frauen unsicher: weil WC/Duschen nicht klar getrennt sind oder der Zugang zu diesen nicht sicher ist, weil die Männer sich davor aufhalten oder der Weg bei den Zimmern der Männer durchführt. Eine schlechte Ausleuchtung oder die Aussicht, einem Mann alleine oder in der Gruppe zu begegnen, führt dazu, dass die geflüchteten Frauen sich nicht frei bewegen können, sich in ihrem Zimmer einschliessen, einen Nachttopf benutzen oder aus der Unterkunft fliehen. Bei Kollektivunterkünften, die keine geschlechtergetrennten Schlafräume haben, spitzt sich dieses Problem nochmals zu. Den Betreuer_innen mangelt es an Wissen und an der Zeit für eine geschlechter- und traumasensible Unterstützung. So erleben Frauen Gewalt durch Bewohner, Mitarbeiter und Sicherheitspersonal in den Unterkünften, weil sie zu wenig geschützt werden und sich in Abhängigkeitsverhältnissen befinden. Und nach einer Gewalttat ist die Unterstützung durch eine spezialisierte Stelle nicht garantiert.

Was braucht es, damit geflüchtete Frauen in den Kollektivunterkünften sicher und den Männern gleichgestellt sind?

  • Einen verbindlichen Auftrag von Bund und Kantonen für eine geschlechter- und traumasensibel gestaltete Unterbringung und Betreuung mit genügend Ressourcen
  • Immer separate Unterkünfte für alleinstehende Mütter und Frauen sowie Familien auf Bundes- und Kantonsebene – mindestens eine geschlechtergetrennte Infrastruktur mit sicheren Zugängen
  • Genügend Ressourcen für die professionelle psychosoziale Betreuung mit einer weiblichen Betreuungsperson für jede geflüchtete Frau
  • Obligatorische und regelmässige Bildung für alle Mitarbeiter_innen zu Gleichstellung und Gewalt gegen Frauen
  • Prävention, Unterstützung und Schutz bei Gewalt gegen Frauen in Zusammenarbeit mit spezialisierten Angeboten
  • Weibliches Sicherheitspersonal
  • Ein den Frauen angepasstes Bildungs- und Freizeitangebot

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Asylverfahren

Das aktuelle Asylverfahren ist nicht geschlechtergerecht gestaltet: Strukturelle Defizite und ein Mangel an Bewusstsein für die Situation von Frauen und ihren möglichen Traumatisierungen führen dazu, dass diese in der Schweiz keinen Schutz finden.

Die geflüchteten Frauen werden nicht angemessen darüber informiert, was frauenspezifische Fluchtgründe sind und dass sie diese geltend machen können. Zusätzlich hat der Bund eine hohe Hürde geschaffen, um über Gewalterfahrungen zu sprechen: So werden geflüchtete Frauen nicht systematisch von einem ausschliesslich weiblichen Team (Befragerin, Dolmetscherin, Rechtsvertreterin, Hilfswerksvertreterin) befragt und begleitet. Gerade wenn es um intime Formen wie sexualisierte oder häusliche Gewalt geht, ist dies aber eine unabdingbare Voraussetzung, damit die Frau über das Erlebte berichten kann.

Diese Hürde wird durch die Missachtung psychotraumatologischer Erkenntnisse seitens der Behörden noch zusätzlich verstärkt. So gestaltet der Bund die Anforderungen, wie die geflüchteten Frauen über ihre Gewalterfahrungen berichten müssen, so, dass von Traumatisierungen Betroffene wenig Chance auf Asyl haben: Spricht die Frau nicht über die erlebte Gewalt oder tut sie dies lückenhaft, nicht nachvollziehbar, nicht chronologisch oder mit Widersprüchen, dann erhält sie kein Asyl – weil sie als nicht «glaubwürdig» eingestuft wird. Dabei weisen diese «Defizite» in den Erzählungen auf Traumatisierungen hin und sind dementsprechend Indizien für die «Glaubwürdigkeit» der Asylsuchenden. Da geflüchtete Frauen mit hoher Wahrscheinlichkeit vor, während oder nach ihrer Flucht sexualisierte Gewalt erlebt haben, können sich mögliche Traumatisierungen negativ auf ihr Asylverfahren auswirken.

Wie muss das Asylverfahren gestaltet sein, damit es auch für gewaltbetroffene geflüchtete Frauen fair ist?

  • Frühzeitige Information der geflüchteten Frauen über geschlechtsspezifische Fluchtgründe und ihre Rechte im Asylverfahren
  • Ausschliesslich weibliche Befragerinnen, Dolmetscherinnen, Rechtsvertreterinnen und Hilfswerksvertreterinnen
  • Eine besondere Unterstützung allein reisender Frauen (mit und ohne Kinder) aufgrund möglicher sexualisierter Gewalt im Herkunftsland, auf der Flucht oder in der Schweiz
  • Befragungsstandards, die psycho-traumatologische Erkenntnisse berücksichtigen
  • Obligatorische, regelmässige und vertiefte Bildung zu geschlechtsspezifischer Gewalt und Trauma für die Behördenmitglieder
  • Abschaffung des Prinzips der Safe Countries oder mindestens eine materielle Prüfung bei geschlechtsspezifischer Gewalt
  • Gebrauch des Selbsteintrittsrecht durch die Schweiz bei Dublin-Fällen mit geschlechtsspezifischer Gewalt
  • Transparenz zu den Beweismitteln bei Asylentscheiden

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Opferhilfe

Alle gewaltbetroffenen Frauen haben in der Schweiz Anrecht auf Unterstützung. Dies gilt spätestens seit dem Inkrafttreten der Istanbul-Konvention im April 2018. Das aktuelle Opferhilfe-Gesetz verweigert jedoch geflüchteten Frauen, die auf der Flucht oder im Herkunftsland Gewalt erlebt haben, die Unterstützung durch die spezialisierten Angebote:

Das Opferhilfe-Gesetz besagt nämlich, dass Menschen, die im Ausland Gewalt erlebt haben und zum Tatzeitpunkt keinen Wohnsitz in der Schweiz hatten, keinen Anspruch auf Opferhilfe haben. Da die spezialisierten Angebote für Gewaltbetroffene aber durch die Opferhilfe finanziert werden, erhalten die geflüchteten Frauen keine Beratung, Therapien, finanzielle oder juristische Unterstützung. Fehlt eine solche Unterstützung, kann dies zu langfristigen psychischen und gesundheitlichen Problemen bei den Betroffenen wie auch zu gesellschaftlichen Folgen und Kosten führen.

Diese Lücken in der Opferhilfe beim Tatort Ausland ist eine Diskriminierung der geflüchteten Frauen und verwehrt Gewaltbetroffenen eine ihnen zustehende Unterstützung. Deshalb gilt es, diese Lücke im Gesetz zu schliessen.

Auch für diejenigen geflüchteten Frauen, die Gewalt in der Schweiz erleben, ist es schwierig, einen Zugang zu den Opferhilfe-Angeboten zu finden. Sie sind darauf angewiesen, dass sie diese Informationen erhalten und die Mitarbeiter_innen im Asylbereich die Brücke zu diesen Angeboten bauen. Voraussetzung dafür ist aber eine Sensibilisierung und Vernetzung dieser Mitarbeiter_innen, was heute oft nicht der Fall ist. Ebenso gilt es, die Opferhilfe-Angebote vermehrt in Hinblick auf die Bedürfnisse von geflüchteten Frauen weiterzuentwickeln. Gleichzeitig muss auch der Asylbereich systematisch Schutzlösungen entwickeln, damit akut von  beispielsweise familiärer  Gewalt betroffene Frauen (und ihre Kinder) sicher leben können.

Weitere Informationen: Stiftung gegen Gewalt an Frauen und Kindern

Sexuelle Rechte

Geflüchtete Frauen haben kaum Zugang zu Informationen und Beratung zu sexueller Gesundheit. Zusätzlich ist die Wahl der Verhütungsmethoden für sie stark eingeschränkt. So können die Frauen keine selbstbestimmte Sexualität und Familienplanung leben.

Sowohl auf Bundes- wie auch auf Kantonsebene können sich die geflüchteten Frauen nur schwierig Wissen und Bildung zu Sexualität, sexuell übertragbaren Krankheiten, Schwangerschaft und Verhütung aneignen. Zudem sind nicht alle Angebote im Bereich sexuelle und reproduktive Rechte flucht- und kultursensibel und es fehlt an der nötigen Dolmetschung.

Zudem können geflüchtete Frauen nicht selbst wählen, ob und wie sie verhüten wollen. Denn die Auswahl an Verhütungsmethoden und die Bezahlung von Verhütungsmitteln wird von Bund und Kantonen gerade für Frauen stark eingeschränkt. Dieser Mangel an Wissen und Finanzierung lässt sich unter anderem an einem höheren Anteil von Schwangerschaftsabbrüchen ablesen. Deshalb können geflüchtete Frauen in der Schweiz nicht selber entscheiden, ob und wie sie ihre Sexualität leben, ob und wann sie ein Kind bekommen wollen.

Um eine selbstbestimmte Sexualität und Familienplanung auch für geflüchtete Frauen zu garantieren, braucht es einen systematischen Zugang zu flucht- und kultursensibel gestalteten Informationen und Beratungen. Verhütungsmittel müssen frei wählbar sein und durch Bund oder Kantone bezahlt werden.

Weitere Informationen: Sexuelle Gesundheit Schweiz, Infos zu sexueller Gesundheit in elf Sprachen: www.sex-i.ch